Zukunft der Arbeit – drei Herausforderungen

Einen Blick in die Zukunft einer digitalisierten Gesellschaft zu werfen, scheint schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Aber aus der Vergangenheit lassen sich zumindest Technologien, Entwicklungen und Trends ableiten, die unsere heutigen und zukünftigen Arbeits- und Lebensweisen beeinflussen. Stefan Paulus zeigt in seinem Essay im aktuellen FHS-Magazin «substanz» drei zentrale Herausforderungen auf: Arbeit als Soziale Frage, Arbeit und Gesundheit und Humanisierung der Sozialen Arbeit.

Als zentrale Entwicklungen sind sicher die grossen technologischen Revolutionen zu nennen: Mechanisierung der Dampfkraft, Fliessband, Computer und nun intelligente Maschinen, die mit uns Menschen kommunizieren. In welche digitale Zukunft uns der Weg führen wird, ist unklar, aber eine Gemeinsamkeit ist offensichtlich: Die bisherigen technologischen Revolutionen haben dazu geführt, Arbeitsprozesse effektiver zu gestalten.

Als 1821 die Stoppuhr erfunden wurde, konnten nicht nur Minuten und Sekunden gemessen werden. Der US-amerikanische Ingenieur F.W. Taylor entwickelte Messreihen für Zeit- und Bewegungsstudien, um Arbeitsabläufe mithilfe von sekundengenauen Zeitmessungen und Zeitlupenaufnahmen in einzelne Arbeitsschritte und Handlungsmomente zu zerlegen. Ziel war es, Arbeitsabläufe zu optimieren, Zeitverluste auszuschalten und Leerzeiten zu eliminieren. Als dann Anfang des 20. Jahrhunderts das erste Ford Modell vom Fliessband rollte, war dies vor allem der Anwendung des tayloristischen Prinzips zu verdanken. Infolgedessen läuft das herzustellende Produkt auf dem Fliessband an den Arbeitenden vorbei und diese sind gezwungen, in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Handlung auszuführen. Die Arbeitstätigkeit wird über die Geschwindigkeit des Fliessbandes überwacht. Diese wissenschaftliche Zerlegung des Arbeitsprozesses ermöglicht nicht nur eine enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern setzt auch ein kapitalistisches Zeitregime in Kraft, das über Kalkulation, Beschleunigung und Zeitdruck die Verhaltensweisen der Menschen bis heute bestimmt.

Clickworker auf dem Vormarsch
Durch die Einführung der sogenannten «Lean Production» seit den 1990er-Jahren wird dieses ökonomische Prinzip nochmals optimiert. Das Kernziel des Produktionsmodells liegt in der Beseitigung von überflüssigen Kosten, durch Auffinden und Eliminieren von Zeitverschwendung und in der Einsparung von Personal. Mittlerweile prägt die Lean Production nicht nur das Bild von fast menschenleeren und vollautomatisierten Fabriken, sondern dehnt sich auf weitere Arbeitsbereiche aus: Crowdworking zum Beispiel. Damit ist gemeint, dass Firmen via Internet weltweit Kleinst- aufträge an Temporärangestellte, sogenannte «Clickworker», vergeben. Clickworker testen Software, setzen Likes oder kategorisieren Kleidung. Pro 100 Clicks verdienen sie ein paar Rappen. Die Internationale Arbeitsorganisation in Genf stellt fest, dass die Nachfrage nach diesen menschlichen Robotern stetig zunimmt und derzeit über 30 Millionen Menschen auf  Online-Plattformen als Clickworker registriert sind.

Firmen können ihre Kernbelegschaft zusammenschrumpfen und den Rest der Arbeiten von einem globalen virtuellen Netzwerk von Clickworkern übernehmen lassen. Das Prinzip dahinter: Statt 600 Personen für einen Job einen Monat anzustellen, kann man 60’000 Personen einen Job in einem Tag erledigen lassen. Für Menschen in Nigeria, Pakistan oder Mali ist das eine grosse Chance. Für die Schweiz oder andere Industriena­tionen bedeutet das, dass es eine verstärkte Konkurrenzsituation um digitalisierte Arbeitsplätze gibt.

Eine aktuelle Studie der Universität Oxford prognostiziert, dass aufgrund der Digitalisierung, Automatisierung und Roboterisierung die Hälfte aller heutigen Arbeitsplätze 2030 nicht mehr existieren könnten. Eigentlich eine schöne Utopie: Maschinen arbeiten für uns. Statt Maschinen für Menschen arbeiten zu lassen, arbeiten Menschen aber derzeit gegen die Zeit und stehen den beschleunigten Arbeitsprozessen fremd gegenüber. Denn die digitalen Algorithmen der Maschinen und kybernetischen Businessmodelle sind auf Effizienz und Profit programmiert und nicht auf Zufriedenheit und Chancengleichheit.

Die abhängig Beschäftigten müssen ihr materielles Überleben durch die Gegenleistung einer individuellen Flexibilität in Bezug auf Arbeitsplatz und -zeit sichern, um jederzeit an x-beliebigen Orten in der «Rund-um-die-Uhr-Ökonomie» eingesetzt zu werden. Als Folge treten in den Industrieländern Erscheinungen auf wie Stress- und Burnout-Syndrome, das Gefühl von Zeitdruck und Gehetztseins bis hin zu «Karõshi», den Tod durch Überarbeitung. Die Weltgesundheitsorganisation prognostiziert einen so starken Anstieg von psychischen Erkrankungen in Zukunft, dass diese neben Herz-Kreislauferkrankungen am häufigsten diagnostiziert werden.

Drei zentrale Herausforderungen
Mit Blick auf diese historischen Verbindungen zeigen sich drei zentrale Herausforderungen für die Gestaltung zukünftiger Arbeitsprozesse:

1. Arbeit als Soziale Frage
Aus den ökonomischen Gesetzmässigkeiten lässt sich ableiten, dass alles, was automatisiert werden kann, auch automatisiert wird. Nicht nur Arbeitsstellen von niedrig Qualifizierten gehen dadurch verloren, sondern auch Arbeitsstellen von Ärzten oder Bankangestellten sind in Gefahr. Wenn bezahlte Arbeit soziale Zugehörigkeit und gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten schafft, könnte man fragen, was eigentlich passiert, wenn keine Erwerbsarbeit mehr da ist, und wie eine sozialverträgliche Technologieentwicklung gestaltet werden müsste, damit keine sozialen Unruhen entstehen.

2. Arbeit und Gesundheit
Galt es während der Industrialisierung des 20. Jahrhunderts, die körperliche Unversehrtheit der Lohnarbeitenden durch Arbeitsschutzmassnahmen zu gewährleisten, gilt es als eine der grössten Herausforderungen des Hightech-Kapitalismus im 21. Jahrhundert, die psycho-soziale Gesundheit aller Beschäftigten zu erhalten. Nicht technologische Innovationen sind die Lokomotive für Wachstum und Beschäftigung, sondern die Arbeitsfähigkeit und das Eigenleben von Menschen. Die Frage ist, wie gesundheitserhaltende Arbeitsstrukturen gestaltet werden können.

3. Humanisierung der Arbeit
Mitarbeitende – das zeigen viele Untersuchungen – haben den Wunsch, dass die Digitalisierung dem Menschen dienen soll. Bestehende Steuerungsmechanismen in Unternehmen setzen oftmals auf die kurzfristige Verwertung ihrer humanen Ressourcen. Mitarbeitende fühlen sich und ihr Erfahrungswissen, ihren Werksinn durch die künstliche Intelligenz entwertet. Unternehmen, als Teil der Gesellschaft, haben auch eine soziale Verantwortung. Um diese wahrzunehmen, müssen Unternehmen nicht nur einen künstlichen, sondern auch einen menschlichen Kompass entwickeln. Die Frage hierbei ist, wie eine Humanisierung der Arbeit gestaltet werden kann, und wer an einer Debatte über die Zukunft der Arbeit teilnehmen darf.

Dr. Stefan Paulus ist Dozent am Institut für Soziale Arbeit IFSA-FHS und beschäftigt sich mit arbeitssoziologischen Themen.