Bleibt alles anders

Eine empirische Untersuchung zu Veränderungen der Studienbedingungen während
Covid-19. Von Tobias Kindler, Thomas Schmid und Stefan Köngeter

Hintergrund der Studierendenbefragung
Unsere Studierenden haben eine bewegte Zeit hinter sich: Nachdem die Lehrveranstaltungen ab März 2020 bis zum Ende des Semesters hauptsächlich online stattfanden, wurden zu Beginn des Herbstsemesters 2020 im September wieder Präsenzveranstaltungen durchgeführt. Ab dem 2. November 2020 folgte dann, angesichts der steigenden Fallzahlen, die erneute Umstellung auf Home-Learning.

Eine erste auf den Campus St.Gallen beschränkte Befragung während des Lockdowns im April und Mai 2020 lieferte Hinweise, wie die Studierenden mit der ungewohnten Situation und den veränderten Rahmenbedingungen umgehen. Im Rahmen einer zweiten Erhebung im Dezember 2020 wurden dieselben Teilnehmenden erneut befragt. Ziel war es, Entwicklungen zwischen der ersten und der zweiten Pandemiewelle zu identifizieren und mehr über den veränderten Studienalltag unter Covid-19-Bedingungen zu erfahren. Folgende Fragen stehen im Zentrum der Befragung:

Wie geht es den Studierenden? Zeigen sich in der Wahrnehmung und dem Umgang mit der Situation Veränderungen vom Frühjahrssemester 2020 zum Herbstsemester 2020?
Mit welchen spezifischen Herausforderungen sind die Studierenden konfrontiert?
Welche Strategien wenden sie an, um diese aussergewöhnlichen Zeiten zu meistern? Welche Unterstützung wünschen sie sich von ihrer Hochschule und ihrem Studiengang?

Die Ergebnisse der Befragung sollen dazu beitragen, die aktuelle Situation der Studierendenschaft breit abgestützt zu beurteilen. Gleichzeitig dienen sie auch dazu, zukünftige Entwicklungen – wie beispielsweise die Herausforderungen, die mit einer Digitalisierung des Lernens für den Alltag der Studierenden einhergehen – besser einschätzen zu können.

Methodisches Vorgehen
Zur Erfassung der Alltags- und Studiensituation von Studierenden der OST am Campus St.Gallen, die während der beiden Befragungszeiträume ausschliesslich im Home-Learning studieren konnten, wurde vom Institut für Soziale Arbeit und Räume (IFSAR) ein Fragebogen entwickelt. Dieser beinhaltet Fragen aus einer österreichweiten Studie der Universität Wien und ergänzt diese um eigene, dem Kontext und spezifischen Erkenntnisinteresse angepasste Items.

An der ersten Befragung im April und Mai 2020 beteiligten sich 1006 der 1674 Bachelor- und Masterstudierenden am Standort St.Gallen. Die 1006 Teilnehmenden wurden im Rahmen der zweiten Erhebungswelle vom Dezember 2020 erneut zur Teilnahme eingeladen. 505 Befragte schlossen auch die zweite Erhebung vollständig ab. Auf deren Rückmeldungen basiert dieser Beitrag.

Beschreibung der Stichprobe
Von den 505 Befragten gaben 69 Prozent ein weibliches und 31 Prozent ein männliches Geschlecht an. Der grösste Anteil der Teilnehmenden (52 Prozent) war zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung zwischen 18 und 24 Jahren alt, 31 Prozent waren zwischen 25 und 29 Jahren alt, 9 Prozent waren zwischen 30 und 34 Jahren alt und weitere acht Prozent waren 35 Jahre und älter. Die befragten Studierenden waren in sieben unterschiedlichen Studiengängen eingeschrieben: Soziale Arbeit (49%), Business Administration (19%), Pflege (14%), Wirtschaftsinformatik (7%), Wirtschaftsingenieurwesen (6%), Architektur (3%) und Corporate/Business Development (2%). 91 Prozent waren auf Bachelor- und 9 Prozent auf Masterstufe eingeschrieben und 52 Prozent studierten im Teilzeit- und 48 Prozent im Vollzeitmodell. 9 Prozent der Befragten befanden sich zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung im ersten oder zweiten Semester, 37 Prozent studierten im dritten Semester, sechs Prozent im vierten Semester, 30 Prozent im fünften Semester und 18 Prozent studierten im sechsten oder einem höheren Semester.

Veränderungen der Studiensituation vom Frühjahrssemester zum Herbstsemester
Unsere Studie ermöglicht einen Vergleich zwischen dem Frühjahrssemester 2020 und dem Herbstsemester 2020/2021 im Längsschnitt. Insgesamt zeigt sich im Herbstsemester eine ähnliche Belastungssituation für die Studierenden wie noch im Frühjahrssemester. Allerdings haben sich bestimmte Tendenzen zum Teil sogar noch verschärft, vor allem im Bereich der Studienmotivation. Die Sorge um die Bewältigung der Anforderungen im Studium hat hingegen etwas abgenommen.

Zunächst zeigt sich bezüglich des Zeitaufwands, dass die grössere Zahl der Studierenden eher etwas mehr Zeit für ihr Studium investieren (siehe folgende Abbildung). In diesem Zusammenhang ist auch auffällig, dass tendenziell mehr Studierende auch mehr Zeit für Erwerbstätigkeit aufwenden und eher etwas weniger für die Betreuung von Angehörigen.

Die Herausforderungen des Studierens haben sich unter den Pandemiebedingungen zwischen dem Frühjahrs- und dem Herbstsemester kaum verändert. Die subjektiv gefühlte Herausforderung beim Planen des Tages, bei der gleichzeitigen Erledigung unterschiedlicher Aktivitäten, beim Kümmern um Angehörige oder bei dem Umgang mit technischen Einschränkungen (siehe folgende Abbildung) hat nicht zugenommen.

Hingegen fällt auf, dass sich die allgemeinen Einstellungen gegenüber dem Studium deutlich ins Negative gewendet haben. Hatten während des Frühjahrssemesters noch 31 Prozent Spass am Studium bekundet, reduzierte sich dieser Anteil auf 15 Prozent während des Herbstsemesters (siehe folgende Abbildung).

Demgegenüber zeigt sich bei den Studierenden eine leicht verstärkte Zuversicht, dass sie mit den Anforderungen des Studiums gut zurechtkommen und in der Lage sind, die anstehenden Prüfungen zu bestehen. Während noch im Frühjahrssemester 31 Prozent der Aussage «Ich gehe davon aus, dass ich meine anstehenden Prüfungen bestehe» nicht oder eher nicht zustimmten, reduzierte sich dieser Anteil im Herbstsemester auf 16 Prozent (siehe folgende Abbildung).

Die Unterstützung durch wichtige Personen aus dem nahen Umfeld verbleibt auf konstant hohem Niveau: 75 Prozent fühlen sich über die letzten beiden Semester hinweg von Menschen, die ihnen wichtig sind, unterstützt. Die Unterstützung durch Studienkolleginnen und -kollegen stagniert allerdings bei ungefähr 50 Prozent. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass hinsichtlich der aussergewöhnlichen Situation kein Gewöhnungs- und Adaptionsprozess bei den Studierenden stattgefunden hat.

Für diese Annahme spricht zusätzlich, dass auch keine Veränderung der angewandten Lernstrategien stattgefunden hat. Nach wie vor fällt es einem Teil der Studierenden schwer, sich unter den gegebenen Bedingungen zu motivieren, ihren Tag zu strukturieren und die Aufgaben im Studium zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die weiterhin geringe Work-Life-Balance interpretieren (siehe folgende Abbildung): Die fehlende Studienmotivation und die nach wie vor hohe Arbeits- und Betreuungsbelastung führen dazu, dass die Studierenden mehr und mehr belastet sind.

Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen
Die Studiensituation ist für viele Studierende nach wie vor prekär und führt teils an und über die Belastungsgrenze. Wir können also sagen, dass die Lehre in der Hochschule sich immer noch im Krisenmodus befindet. Die von uns durchgeführte Studierendenbefragung weist zentrale Belastungsfaktoren aus, die zum Teil durch die Hochschule aber selbst nicht beeinflussbar sind.

Die Herausforderungen bestehen darin, dass im Modus des Distance Learning und in der aktuellen Krisensituation die Studierenden von anderen Dingen abgelenkt werden, gleichzeitig unterschiedliche Aufgaben erledigen müssen und sich Sorgen um Gesundheit, Angehörige und gesellschaftliche Entwicklungen machen. Diese Herausforderungen lassen sich durch eine gute Online-Didaktik nur bedingt auffangen.

Umso wichtiger erscheint es uns, diejenigen Faktoren zu fokussieren, an denen durch die Hochschule und deren Mitglieder etwas verändert werden kann. Das sind aus unserer Sicht die folgenden:

  • Im Frühjahrssemester 2020 erfolgte eine Flexibilisierung der Leistungsnachweise. Nach wie vor stellt die Bewältigung von Leistungsnachweisen für 40 Prozent der Studierenden eine Belastung dar, u.a. weil die Nicht-Bewältigung sich studienverlängernd auswirken kann. Auch wenn eine Niveauabsenkung weder sinnvoll noch gerecht ist, sollten zeitliche Flexibilisierungen wie im Frühjahrssemester 2020 geprüft werden.
  • Die Infrastruktur einer Hochschule ist für Studierende sehr wichtig, um ihr Studium zu bewältigen. Mit der zur Verfügung stehenden Infrastruktur sollten so viele Möglichkeiten geschaffen werden, wie im Rahmen der geltenden Sicherheitsbestimmungen erlaubt sind. Bereits kleine Veränderungen, wie z.B. sich in Kleinstgruppen zu treffen, Exkursionen von Kleinstgruppen, Lernplätze mit möglichst niedrigem administrativem Aufwand zur Verfügung stellen etc., können hier wichtig sein, um den Studierenden zu signalisieren, dass sich die Hochschule bemüht. Die bisherigen Bemühungen, so zeigen insbesondere die qualitativen Antworten in den offenen Textfeldern unserer Befragung, werden bislang von den Studierenden noch zu wenig wahrgenommen.
  • Der informelle Austausch unter Studierenden ist sehr wichtig, gerade angesichts der Tatsache, dass sich beinahe die Hälfte der Studierenden alleine fühlt. Lehrende und Studiengangsleitungen sollten bei den didaktischen bzw. methodischen Arrangements verstärkt auf die Generierung dieser Austauschmöglichkeiten achten. Auch Tutorien, Peer-Learning-Situationen, Kaffeerunden etc. sind in virtuellen Settings denkbar.
  • Die Lernstrategien der Studierenden haben sich über die letzten zwei Semester hinweg nicht merklich verändert, obwohl diese gerade in der Pandemie-Situation wichtig sind, um die dadurch entstandenen Herausforderungen zu bewältigen. Lehrende sollten den Studierenden helfen, sich gemeinsam bessere Lernstrategien zu erarbeiten. Dies kann in den Veranstaltungen, aber auch in den Studiengängen als Ganzes erfolgen.
  • Die Work-Life-Balance ist sehr niedrig, die psychosoziale Belastung sehr hoch. Gegenüber den Studierenden sollten die Möglichkeiten der psychosozialen Unterstützung an der Hochschule und ausserhalb kommuniziert werden. Auch interne Gruppensettings, pragmatische Kontaktangebote, Peerberatungen, Feierabend-Chats, physische Treffen in stets gleichbleibenden Kleinstgruppen könnten möglicherweise hilfreich sein, um den aussergewöhnlichen Bedingungen der aktuellen Studiensituation zu begegnen.

Einen ausführlichen Bericht, der auch Daten zu den Studierenden an den Standorten Buchs und Rapperswil-Jona enthält, finden Sie hier.