Burnout in der Landwirtschaft

Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) fördert ein zweijähriges interdisziplinäres Forschungsprojekt der Fachhochschule Ostschweiz (OST). In Zusammenarbeit mit den Bauernverbänden AR, SG, TG, GR, ZH, den Schweizer Landfrauen, den Landwirtschaftlichen Bildungszentren, Agroscope und Beratenden der bäuerlichen Sorgentelefone (offene Türe) werden aktuell folgende Frage untersucht:

  • Wie können gesundheitsgefährdende Belastungen von Landwirtinnen und Landwirten selbst frühzeitig erkannt und im besten Fall verhindert werden?
  • Wie können Betroffenen am schnellsten und wirksamsten erreicht werden?
  • Wie müssen regionale Beratungsangebote gestaltet sein, die nachhaltig die körperliche, psychische und soziale Situation der betroffenen Landwirtinnen und Landwirten verbessern und von potenziell allen Betroffenen genutzt werden können?

Hintergrund

In der Landwirtschaft tätige Personen sind doppelt so oft von einem Burnout betroffen wie der Rest der Bevölkerung. Die Ostschweizer Fachhochschule hat untersucht, warum Betroffene erst sehr spät Unterstützung suchen und welche Hilfsangebote bei der Früherkennung zielführend sind.
Ein Burnout ist tückisch, da es von Betroffenen oftmals nicht wahrgenommen wird. Nahezu pausenlose Präsenz und der Verzicht auf Erholung, körperliche Erschöpfung sowie das Gefühl der Unentbehrlichkeit sind normale Bestandteile des bäuerlichen Arbeitsalltags. Sie können aber auch der Beginn eines Burnouts sein. Kommen körperliche Warnsymptome hinzu, wie Einschlafstörungen, Grübeln oder die Unfähigkeit, sich zu entspannen, kann sich ein Burnout leicht entwickeln und verstärken. Das Gefühl, körperlich und gefühlsmässig dauerhaft entkräftet zu sein, mit sehr grossem Einsatz wenig zu erreichen bis hin zum Verlust des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, Verzweiflung oder Suizidgedanken sind die späteren Folgen des Missachtens der Warnsymptome. Wesentliche Schutzfaktoren sind, neben einem geringen Verschuldungsgrad der Betriebe, auch soziale Kompetenzen, wie beispielsweise die Fähigkeit, um Hilfe zu bitten und sich helfen zu lassen.
Kann eine Erkrankung im Anfangsstadium relativ einfach zu Hause oder ambulant behandelt werden, ist der betriebliche Schaden bei einer stationären Behandlung gross und überlastet oft die übrigen Familien- oder Betriebsangehörigen, die nun zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen.

Untersuchung und Ergebnisse

In Form von leitfadengestützten Interviews, die mittels einer Onlineumfrage anschliessend überprüft wurden, wurden Thematiken wie Arbeitsbelastungen und Burnout-Präventionsangebote in der Ostschweizer Landwirtschaft untersucht. Online gaben fast 65 Prozent der 368 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, dass Sie in der Vergangenheit bereits aufgrund einer schwierigen Situation an ihre Grenzen stiessen. Differenziert und auf die aktuelle Situation bezogen, erleben die Befragten den Arbeitsdruck, die Last der administrativen Aufgaben, die Erwartungen der Gesellschaft sowie das Einhalten aller rechtlichen Vorschriften als besonders belastend. Als besonders hoch eingeschätzt wird das Burnout-Risiko aufgrund mangelnder Arbeitsorganisation, hohem Schuldendruck wegen Investitionen in Technologien sowie im Zusammenhang mit Generationenkonflikten für ältere Landwirtinnen und Landwirte, wenn die Kinder flügge werden und dadurch die familiäre Unterstützung immer mehr fehlt.

Hürden erschweren Prävention

In der Früherkennung und Prävention spielen die Beratungsdienste eine elementare Rolle. Anhand der Onlinebefragung wurde jedoch deutlich, dass die Möglichkeiten im Bereich der persönlichen Hilfe oftmals unbekannt sind oder gar nicht genutzt werden. Obwohl 82 Prozent angaben, dass sie im Bedarfsfall Hilfe in Anspruch nehmen würden, wird aus den Interviews mit Betroffenen und Fachleuten ersichtlich, dass mit der bestehenden psychosozialen Infrastruktur nur schwer präventiv angesetzt werden kann. Gründe dafür sind nicht nur Ängste, Scham oder Tabus, sondern auch die Tatsache, dass Betroffene erst sehr spät Unterstützung suchen. Die Auswertung der Interviews zeigte zudem, dass Männer sich bei Arbeitsbelastung weniger schnell Unterstützung holen würden als Frauen. Das Projekt sieht deshalb in erster Linie eine Überprüfung bestehender Angebote und ihre Weiterentwicklung aus Sicht von Betroffenen und ihrem Umfeld vor.

Beurteilung bestehender Hilfsangebote

Die Partnerin oder den Partner sehen die Befragten in Überlastungssituationen zwar als wichtige Mahnfiguren. Gleichzeitig wird aber die Kommunikation als Problem genannt, da Männer oft Mühe haben ihre Gefühle zu benennen oder über Probleme zu sprechen.
Gegenüber Hilfsangeboten von aussen herrscht häufig Misstrauen, da Hilfspersonen nicht die gleiche Sprache sprechen würden. Oftmals seien auch die Kosten für eine Beratung unklar. Im Idealfall aber seien Berater ehemals Betroffene und kennen sich zudem aus in der Landwirtschaft. Geäussert wurde auch der Wunsch nach weiblichen wie männlichen Ansprechpersonen.

Besamungstechniker als Brückenbauer

Die Anforderungen an ein gelingendes Hilfsangebot basiert auf den drei Säulen: Anonymität und Vertrauen, Zuverlässigkeit sowie Niederschwelligkeit. Dabei wird eine zeitliche und örtliche Unabhängigkeit begrüsst, denn das Wissen, dass Unterstützung rund um die Uhr vorhanden sei, gibt den Betroffenen Sicherheit. In der Onlineumfrage wurde der Wunsch nach Anonymität jedoch wieder relativiert. Da Burnout häufig mit einer Koppelung von verschiedenen Belastungsfaktoren einhergehen, könnte im Umfeld auf Risiken aufmerksam gemacht werden. So zieht mehr als die Hälfte der Befragten ein Beratungsgespräch auf dem Betrieb vor, z.B. bei den landwirtschaftlichen Beratenden, da hier sehr eng zusammengearbeitet werde. Aber es könnte auch der/die ViehhändlerIn sein, beim anderen der/die FutterhändlerIn oder Tierarzt und beim Dritten der/die BesamungstechnikerIn. Auch Treuhänderinnen und Treuhänder werden als wichtige Ansprechpersonen angesehen. Manchmal gehe es nur darum, dass man sich an jemanden wenden könne, wenn es brennt. Insbesondere der Wunsch, dass Kolleginnen und Kollegen oder Anlässe mit Betroffenen wichtig sind, um Informationen zu Burnout zu erhalten, lässt darauf schliessen, dass ein Hilfsnetzwerk von Betroffenen, Betriebsberatenden, TierärztInnen, TreuhänderInnen etc. gute Dienste in der Burnout-Prävention leisten bzw. sich als Brückenbauer und Vermittler zu Beratungsangeboten andienen könnten. Rund 43 Prozent können sich auch ein Telefonat vorstellen. Das Sorgentelefon gibt es in den verschiedenen Kantonen und wird jedoch sehr unterschiedlich genutzt. Es wird als erste kurzfristige Anlaufstelle angesehen und kann aber gemäss Aussagen in komplexen Situationen nicht genügend unterstützen.

Fazit

Ein neuer Weg in der Burnout Prävention – die Peer-Beratung

Als Hilfsangebot in der Landwirtschaft ist der Wunsch vorhanden, Peers (d.h. ehemals Betroffene, KollegInnen) und Sentinels (Personen, welche im bäuerlichen Umfeld tätig sind, KollegInnen, wie BesamungstechnikerInnen, TierärztInnen, TreuhänderInnen etc.) in die Burnout-Prävention mit einzubeziehen, um Betroffene im Umgang mit ihrer Krise unterstützen. Die Aufgabe der Peers und Sentinels besteht darin, Brücken zu professionellen Beratungsangeboten zu bauen. «Meine Aufgabe ist es, ein Setting zu schaffen, damit die Hilfe überhaupt ins Rollen kommt und anschliessend das Setting zu begleiten und zu vernetzen. Dazu braucht es ein Netzwerk, welches zusammenarbeitet. Wie auch immer, psychologisch oder je nachdem auch medizinisch.» (Peer Begleiter). Falls Peers und Sentinels entsprechend ausgebildet sind, können sie selbst beratend tätig werden. Peer-to-Peer-Beratungen werden bereits erfolgreich in Kanada eingesetzt und auch in der Schweiz gibt bereits vereinzelte Peer Beratungsangebote und Weiterbildungsangebote, wie z.B. der im Herbst zum ersten Mal angebotene CAS «Psychische Gesundheit» der OST.

Team: Stefan Paulus (IFSAR), Oliver Christ (IQB), Axel Pohl (IFSAR), Monika Lorenz-Meuli (IFSAR), Bernhard Oberholzer (IQB)

Kontakt: Stefan Paulus, stefan.paulus@ost.ch