«Digitale Nachbarschaften werden immer wichtiger»

Die Digitalisierung verändert die Stadt: Nachbarschaften und Innenstädte wandeln sich, es entstehen neue Freiräume und Quartiere entwickeln sich zu Smart Cities. Über die Folgen dieser «Digitalen Revolution» diskutierten die rund 80 Teilnehmenden der sechsten Ostschweizer Sozialraumtagung der Fachhochschule St.Gallen.

Die Remishueb am Stadtrand von St. Gallen ist die erste smarte Siedlung von St.Gallen. In dem Quartier leben rund 800 Personen. Unter anderem gibt es dort einen Umweltveloweg, autofreie Strassen, eine Photovoltaik-Anlage und eine eigene Quartier-App. Letztere hat die Stadt St. Gallen vor einem Jahr lanciert. Die App nutzen können ausschliesslich Bewohnerinnen und Bewohner der Remishueb. Sie haben Zugriff auf ein Newsportal, auf einen Veranstaltungskalender und eine Pinnwand. Ausserdem können sie den aktuellen Verbrauch der Solarenergie abrufen.

«Durch diese App sind die Bewohnerinnen und Bewohner auch mit jenen Personen im Quartier vernetzt, die sie sonst nicht oft sehen würden», sagte Marcel Baur, Informatiker und Bewohner des Smart City Pilotquartiers Remishueb. Im Workshop «Smart Cities – Smart People? Digitale Nachbarschaften in St.Gallen» diskutierte er mit den Teilnehmenden der Ostschweizer Sozialraumtagung darüber, welche Chancen die Digitalisierung für Nachbarschaften mit sich bringt. Laut Nicola Hilti und Eva Lingg vom Institut für Soziale Arbeit und Räume der Fachhochschule St. Gallen (FHS) gewinnen Nachbarschaften in der zunehmend komplexeren und unsicheren Welt an Bedeutung. An der FHS wird das Thema in mehreren Studien erforscht. «Eine Erkenntnis ist, dass digitale Nachbarschaften sowie entsprechende Tools und Plattformen immer wichtiger werden. Dabei stellt sich die Frage, wie sich analoge und digitale Nachbarschaften verbinden lassen», sagte Eva Lingg.

(Lesen Sie mehr zum Workshop im Tagblatt-Bericht)

Die digitalisierte Stadt betrifft eine breite Berufsgruppe

Die sechste Ostschweizer Sozialraumtagung in St.Gallen zeigte, dass das Thema der digitalisierten Stadt eine breite Berufsgruppe betrifft: Die Workshop-Teilnehmenden setzten sich unter anderem aus QuartierarbeiterInnen, LeiterInnen von Wohnbaugenossenschaften, SozialarbeiterInnen, EthnologInnen, GeographInnen und QuartierentwicklerInnen zusammen. Sie alle sind in ihrem Berufsalltag von den direkten und indirekten Auswirkungen der Digitalisierung in städtischen Räumen betroffen. Oftmals geht es dabei um die Suche nach Nutzungen und Zweckbestimmungen für neu entstandene Freiräume. Neuerdings wird der Fokus zudem vermehrt auf die Stadtzentren gerichtet.

Im Workshop «Leerstand? Super!» verlegte das Kulturmagazin Saiten seine Redaktion in ein leerstehendes Ladenlokal (ehemaliges Schuhhaus Walder) in der St.Galler Innenstadt. Die Teilnehmenden besprachen, welche Potentiale sich mit Leerständen für eine Stadt ergeben und welche künftigen Nutzungen denkbar wären. Zwei Tänzer zeigten, wie man sich einen Leerstand auf neue Weise aneignen könnte.

Im Workshop «Soziale Räume in der Virtuellen Realität» wurden bekannte soziale Räume in St.Gallen in der Virtuellen Realität abgebildet. Mit Hilfe einer VR-Installation konnte so die Möglichkeiten der Immersion und Interaktion im Virtuellen Raum aufgezeigt werden.

Wie sich Partizipation etwa bei der Gestaltung des öffentlichen Raums konkret umsetzen lässt, war Thema des Workshops «Partizipation analog und digital». Die Teilnehmenden setzten sich mit den Möglichkeiten der ePartizpation auseinander, also der Unterstützung partizipativer Prozesse mittels digitalen Medien.

«Die Stadt muss digitaler werden»

Zum Abschluss der Ostschweizer Sozialraumtagung trafen sich die Teilnehmenden im Lagerhaus St.Gallen zu einem Gespräch mit dem Chief Digital Officer der Stadt St.Gallen. Christian Geiger ist die erste Person, die in der Schweiz ein solches Amt innehat. In St.Gallen ist er zuständig für die Digitalisierung der Verwaltung und für die strategische digitale Ausrichtung der Stadt. «Die Stadt muss effizienter werden. Die Digitalisierung ermöglicht, Fachpersonen im Alltag besser miteinander zu verknüpfen», sagt er. Geiger ist auch zuständig für die Strategie «Smarte Stadt». «Das Quartier Remishueb ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir in der Zukunft leben wollen», sagte er.

Die Tagung wurde von dem freischaffenden Schauspieler Christian J. Käser moderiert. Er verarbeitete die Tweets der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem Hashtag #srtfh19 zu einem Abschlusssong.

Text: Nina Rudnicki
Fotos: Claudio Baeggli