Herausforderungen im Umgang mit städtischem Raum in Arbon

Eine lokale Brauerei, ein Generationenspielplatz, Pop-up-Unternehmen in umgenutzten Containern: Während einer Woche haben Studierende aus den Bereichen Wirtschaft, Architektur, Soziale Arbeit und Pflege der Fachhochschule St.Gallen im Kontext der Zersiedelungsinitiative nachhaltige Ideen und Planungskonzepte für das Areal «Bleiche» in Arbon ausgearbeitet. Dabei standen die Chancen im Mittelpunkt, die die Grünfläche am Ortsrand für Bevölkerung und Stadt bietet. Nicht kurzfristiges Bauen, sondern der sorgsame langfristige Umgang mit innerstädtischen Freiflächen – so zeigen die studentischen Arbeiten – erscheint als zentrale Herausforderung der Entwicklung von Siedlungsflächen.

«Wenn man das ökonomische Element wegnimmt, welches in Form von Renditevorstellungen derzeit die Gestalt und Dimension der meisten Bauvorhaben im Wesentlichen bestimmt, merkt man plötzlich, wie voraussetzungsreich und herausfordernd sich der Umgang mit Raum eigentlich darstellt. Man stellt fest, dass eine erprobte Art und Weise fehlen, wie man – jenseits von ökonomischen Leitkriterien – an Raum herangeht», sagte Niklaus Reichle, FHS-Dozierender des interdisziplinären Moduls zur Raumentwicklung am Beispiel der Bleiche in Arbon. Dieses fand in Zusammenarbeit mit Eva Lingg, Leiterin des Themenschwerpunkts «Wohnen und Nachbarschaften» der Fachhochschule St.Gallen statt.

28 Studierende der Fachbereiche Wirtschaft, Architektur, Soziale Arbeit und Pflege hatten sich eine Woche lang mit dem 19’906 Quadratmeter grossen Landstück am Stadtrand von Arbon beschäftigt. Die Bleiche ist eine Grünfläche mit Obstbäumen, die von Gewerbe, Wohnungen und einem Landwirtschaftsbetrieb umgeben ist. Die Eigentümerschaft steht aktuell vor der Frage, wie die Bleiche langfristig entwickelt werden soll. Die FHS-Studierenden waren daher eingeladen, eigene Ideen für die Bleiche auszuarbeiten und zu präsentieren. «Die Woche auf der Bleiche war für uns eine einzigartige Gelegenheit. Wir hoffen, dass wir die Stadt und die Eigentümerschaft mit unseren Analysen und Eindrücken zu neuen Ideen anstossen können», sagte Niklaus Reichle bei der Abschlusspräsentation am 13. September in der Casa Giesserei in Arbon.

Ein mulitfunktionaler Begegnungsort

Aufgeteilt in sechs Gruppen waren die Studierenden unter anderem der Frage nachgegangen, welche Partei welches Interesse an der Bleiche hat. Zudem galt es zu analysieren, worin sich die Wahrnehmung des Gebiets als auch seiner Potentiale aus sozialwissenschaftlicher, architektonischer und ökonomischer Perspektive unterscheidet. Die Mehrheit der Studierenden sah von einem definitiven Lösung ab und entwickelten Herangehensweisen, welche kurzfristige als auch langfristige Entwicklungsmöglichkeiten für die Bleiche in den Fokus rückten. Schon bei der Präsentation der ersten Gruppe zeichneten sich einige Trends ab: Der Grossteil der befragten Quartierbewohnerinnen und -bewohner wünscht sich auf der Bleiche möglichst wenig Eingriffe oder einen multifunktionalen Begegnungsort. «Daher würden wir für die Bleiche Pop-up-Installationen vorschlagen mit Raum für Begegnung, Diskussion und kleinere Unternehmen», sagte einer der Studierenden. Der Diskurs, wie sich die Bleiche entwickeln soll, würde so direkt vor Ort geführt. Längerfristig könnte auf dem Areal ein überdachter Freiraum für Arbon entstehen. «Eine Möglichkeit wäre beispielsweise eine Halle ohne Wände, in die man je nach Bedarf verschiedene Module und Räume einbauen könnte», sagt er und betonte: «Unser Vorschlag ist minimal invasiv und würde der Schönheit und Naturbelassenheit der Bleiche gerecht werden.»

Entschleunigung statt Bau-Boom

Diese Eindrücke fanden sich auch in den Präsentationen der anderen Gruppen wieder. Die zweite Gruppe hob hervor, dass die Bleiche die Chance der Entschleunigung sowie eines Gegenpols zur schnellen Entwicklung und dem Bau-Boom in Arbon biete. Derzeit entstünden in Arbon viele Gebiete des anonymen Wohnens. Es handelt sich dabei um Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage und wenigen Begegnungsmöglichkeiten für die Bewohnerinnen und Bewohner. «Wir sind daher für eine Entwicklung der Bleiche, die dazu beiträgt, die Lebensqualität im Quartier zu steigern», sagte eine der Studentinnen. Sie präsentierte der Eigentümerschaft und der Stadt Arbon die Idee eines Generationenspielplatzes mit Platz für einen Hofladen, Obstbäumen und verschiedenen Tieren sowie Anschluss an den öffentlichen Verkehr.

Wenige Eingriffe, ein kleines Baumvolumen, Pop-up-Unternehmen in umgenutzten Containern, Nachhaltigkeit, Generationendurchmischung: Diese Begriffe bildeten auch den Schwerpunkt in den Präsentationen der dritten, vierten und fünften Gruppe. Ein Vorschlag war ein Restaurant nach dem Vorbild von Gerolds Garten in Zürich. Gerolds Garten ist ein modularer Stadtgarten mit Gartenwirtschaft, frischer Küche, kleinen Shops, Kunst und verschiedensten Anlässen, der in dem Quartier bei der Hardbrücke für ein paar Jahre einen Ort der Begegnung schaffen soll. Eine längerfristige Idee war, eine Brauerei auf der Bleiche zu gründen. «Auf diese Weise könnte ein lokales Unternehmen aufgebaut und gefördert werden. Zudem würde das Gebäude nur einen kleinen Teil der Grünfläche beanspruchen, so dass dort viel Raum für Begegnung gestaltet werden könnte», so das Fazit der fünften Präsentation.

Gemeinsam kochen und essen 

Aus der Reihe fiel hingegen das Konzept der sechsten Gruppe. Diese schlug vor, einen Teil der Bleiche für zwei Einfamilienhäuser vorzusehen. Auf einem weiteren Teil sollte Platz für Gewerbe in Form von Pop-ups entstehen sowie in Richtung des Landwirtschaftsbetriebs Grünfläche bestehen bleiben. Der innovative Ansatz hierbei: Die Unternehmen und Anwohnerschaft könnten die Bleiche durch eine Art öffentliche Küche beleben, in der abwechslungsweise verschiedene Parteien die Menüzubereitung übernehmen könnten.

Chancen nicht verbauen

Alle Gruppen betonten, wie wichtig eine langfristige Sichtweise, eine umsichtige Planung und Bedarfsanalysen seien. «Es ist klar ersichtlich geworden, dass alle Gruppen für feine Eingriffe statt für schnelle Entwicklung plädieren, durch die Chancen der Bleiche verbaut werden», fasste Niklaus Reichle die Präsentationen zusammen. Als hochspannend beschrieben die anwesenden Eigentümerinnen und Eigentümer der Bleiche die Ergebnisse der Studierenden. «Wir sind dankbar für die vielen Impulse durch diese junge Generation», sagte einer der Eigentümer. «Es haben sich Trends abgezeichnet, die wir weiterverfolgen werden.»

Text: Nina Rudnicki