Kann Soziale Arbeit unparteiisch sein?

In Zusammenarbeit mit Avenir Social, Sektion Ostschweiz, hat die Fachhochschule St.Gallen die Fachveranstaltung «Trends in Praxis und Theorie Sozialer Arbeit» mit dem Titel «Gestalten statt verwalten» organisiert. Anhand von konkreten Beispielen wie der parteiischen Sozialen Arbeit, haben die rund 150 Teilnehmenden untersucht, wie sich das Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstverständnis von Sozialer Arbeit und der Wirklichkeit im Berufsalltag entwickelt.

«Soziale Arbeit muss politisch sein.» und «Wenn es keine Problematisierung von Armut gibt, dann bewegt sich auch nichts.» Diese und weitere Erkenntnisse zum Gestaltungsanspruch Sozialer Arbeit haben rund 150 Teilnehmende der Fachveranstaltung «Trends in Praxis und Theorie Sozialer Arbeit» gemeinsam erarbeitet. Aufgeteilt in sechs Workshops gingen sie der Frage nach, wie das Selbstverständnis von Sozialer Arbeit und wie die Wirklichkeit im Berufsalltag aussehen. Jeder Workshop thematisierte ein anderes Beispiel aus der Praxis. Anhand des Kafi Klick in Zürich, einer Anlaufstelle, die sich für Armutsbetroffene einsetzt, wurde etwa die parteiische soziale Arbeit zwischen politischem Anspruch und konkreter Hilfe thematisiert. Die Teilnehmenden diskutierten darüber, ob es unparteiische soziale Arbeit überhaupt gibt oder ob dies nicht ein Widerspruch zum Selbstverständnis von Sozialer Arbeit ist. Soziale Arbeit müsse politisch sein. Dies sei alleine schon daher notwendig, weil in der Schweiz der irrtümliche Glaube verbreite sei, dass Armut hierzulande gar nicht existiere, lautete eine Schlussfolgerung. Gegen solche Falschannahmen müsse man sich organisieren und der Ressourcenverknappung entgegenwirken, die in der Sozialen Arbeit drohe.

Störrisches Beharren und fachlicher Widerstand
Grundlage für die Workshops bildete das Referat von Matthias Weber, Dozent im Fachbereich Soziale Arbeit an der FHS St.Gallen. Bei der begrifflichen Gegenüberstellung «Gestalten statt verwalten» gehe es um alles, was in der Sozialen Arbeit relevant sei, sagt er. Sie beinhalte die Frage, was sozialarbeiterisches Handeln leite. In seinen Ausführungen bezog sich Weber auf die Gestaltung und die Professionalitätsansprüche von Sozialer Arbeit und beleuchtete den Begriff des Doppelten Mandates. «Es handelt sich dabei um das Berufsschicksal in der Soziale Arbeit, die dem Zwang unterliegt, sich in einer Divergenz professioneller und bürokratischer Verhaltenskodizes bewegen und zurechtfinden müssen», sagte er und zitierte die Sozialpädagogin und Forscherin Mechthild Seithe, die störrisches Beharren und fachlichen Widerstand als eine notwendige Haltung von Sozialarbeitenden bezeichnet. Dadurch lasse sich der Deprofessionalisierung Sozialer Arbeit in Zeiten zunehmender sozialer Härten entgegentreten.

Kritische Reflexion als Fundament
Praxisnah angelegt war das Referat von Regula Ruflin, Sozialarbeiterin und Mitinhaberin der Beratungsfirma Socialdesign AG. Als sie vor zwölf Jahren Socialdesign gründete, sei das eine Zeit gewesen, in der die Zeitungen voller Berichte über Sozialhilfemissbrauch gewesen seien sowie über Soziale Arbeit, die nicht professionell arbeite. Ruflin, die überzeugt war, das Soziales sehr wohl gestaltet werden kann, gründete Socialdesign, um Missständen entgegenzuwirken. In ihrem Referat ging sie den Fragen nach, ob Soziale Arbeit die Pflicht zur Gestaltung ihrer Handlungsfelder hat, wo sie überhaupt gestalten kann und soll sowie welche Gestaltungsrisiken es gibt. Das Fundament von Sozialer Arbeit ist laut Ruflin die kritische Reflexion und Auseinandersetzung mit Theorien und Grundlagen sowie was damit in der Praxis umgesetzt wird. Diesbezüglich gebe es eine grosse Vielfalt an Möglichkeiten.

Verschiedene Workshops
Ein Teil dieser Vielfalt wurde in den Workshops aufgezeigt. Nebst der parteiischen Sozialarbeit waren weitere Themen, wie krankheitserfahrene Mitarbeitende den professionellen Alltag mitgestalten können und ob es in der Suchtarbeit sinnvoll ist, wenn Konsum und Abstinenz im selben Haus möglich ist. Weitere Workshops thematisierten die sozialraumorientierte Arbeit mit älteren Menschen sowie die Handlungsspielräume in der Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen. Zudem ging es um die Fragen, wie Jugendarbeitende dem steigenden Legitimationsdruck begegnen und kompetentes Gestalten bewahren können, gerade in Zeiten in denen die Jugend als «Generation brav» gilt.

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Die FHS St.Gallen hat die Fachveranstaltung zu Trends in Praxis und Theorie Sozialer Arbeit in Kooperation mit dem Berufsverband AvenirSocial Sektion Ostschweiz und dem Netzwerk FHS Alumni durchgeführt.

Text: Nina Rudnicki
Bilder Copyright: fotorausch.ch / Cyrill Schlauri